
Outsourcing, Vergütung, Nutzen, Vendor Management, Dienstleister, Service, Inbound, Kundenperspektive, Erreichbarkeit
Das erwartet die Leserin und den Leser:
- Warum hängt die Höhe der Rechnung von Call-Center-Dienstleistern noch immer so oft an der Erreichbarkeit?
- Ein Lösungsvorschlag für Auftraggeber, um mehr Resultate mit ihren Dienstleistern zu erzielen.
- Vier Minuten Lesespaß – der erste Beitrag wurde 2014 am häufigsten bei Haufe-Online/acquisa geklickt.
Sechs Jahre nach Erscheinen der ersten Version huldigen Outsourcing Service Provider weiterhin der Kennzahl Erreichbarkeit als Steuerungsgröße im Inbound. Keine andere Kennzahl stößt auf eine derartige Resonanz. Obwohl kaum ein Endkunde einen Cent hierfür bezahlte! Schlaue Auftraggeber tun das eventuell ebenso wenig.
Ich meine: Für Erreichbarkeit zahle ich noch immer nicht! Und ein Endkunde tut dies ebenfalls nicht. Wer zahlte 25,00 Euro, weil sich ein Taxi in der Stadt A befindet? Wer gäbe einem Friseur die gleiche Summe für einen offenen Laden? Das Erreichen einer Rufnummer oder eines Email-Postfachs bietet per se für einen Kunden keinerlei Nutzen. Wer als Kunde eine Rufnummer wählt oder eine E-Mail sendet, erwartet eine Reaktion, ein Resultat.
Kunden bezahlen für Leistung anstelle fürs Existieren
Konsumenten erwerben bei Taxen den Transport von A nach B. Der Haarkünstler erhält Geld für den Haarschnitt als Arbeit, sprich als Leistung. Reisende bezahlen für das Übernachten im Hotel anstelle dessen Existenz. Verfährt sich das Taxi, reklamieren Fahrgäste zurecht. Verneint der Kunde am Ende die Frage: "Passt es?", verzichtet ein ehrbarer Friseur auf den vollen Preis. Läuft im Hotel etwas schief, brennt schnell der Baum. Endkunden bezahlen somit für eine Arbeit, eine Leistung mit dem versprochenen Nutzen. Das theoretische Existieren der Arbeit, der Leistung nehmen Endkunden als Geschäftsgrundlage wahr. Der Friseur bekäme kein Geld, weil es den Laden gibt. Er erhält es für den Haarschnitt.
Heiliger Gral Erreichbarkeit vs. Geschäftsgrundlage
‚Erreichbarkeit‘ und ‚Service Level‘ fallen 2020 noch als Erstes, dreht es sich ums Vergüten von Dienstleistern im Inbound. Wobei Service Level die Erreichbarkeit ausdehnt. Die Agenten nehmen einen Teil aller ankommenden Gespräche innerhalb einer bestimmten Zeit an. Bis heute gaukeln viel zu oft Auftragnehmer den Auftraggebern von Call-Center-Dienstleistungen vor Erreichbarkeit, wäre das Ziel für den Endkunden. Ergo wäre die Erreichbarkeit die dem Auftraggeber geschuldete Leistung. Erreichbarkeit wäre die zu erfüllende Erwartung des Endkunden. Das dieser am Ende bezahlt und etwas Anderes erwartet, interessiert nicht.
Endkunden setzen voraus, jemanden zu erreichen, um überhaupt Produkte und Leistungen zu beziehen (siehe vorne). Konsumenten und Interessenten erwarten Nutzen und Lösungen. Wer Stand Dezember 2019 - rund 440,00 Euro für seinen Mobilfunkvertrag berappt (Quelle: Statista, 24 Monate Laufzeit), erlebt mangelhaften Service (Quellen: Chip und Stiftung Warentest). Wie passt das zusammen?
Der Lösungsansatz für mehr Resultate mit Dienstleistern
Auftraggeber vermögen ihre Dienstleister fürs Leisten mit einem Nutzen zu vergüten. Wie viel ein Out-sourcer verdient, richtet sich danach, wie gut er den geforderten Nutzen erfüllt. Dies funktioniert spielend leicht. Und das gilt gerade für Call-Center. Zuerst beschreiben auslagernde Unternehmen mittels sechs Perspektiven die Güte der Arbeit und was sie erwarten.
Die sechs Felder lauten:
- Kunde oder neu deutsch „Voice of the Customer“: Zufriedenheit, Loyalität, Bereitschaft zur Weiterempfehlung sind Kriterien dieser Rubrik.
- Inhalt: Die Korrektheit der Antworten oder der Arbeit fallen darunter.
- Prozesse: Das Einhalten von Prozessvorgaben und das Nutzen und Befüllen von Systemen gehören in dieses Feld.
- Kommunikation: Gesprächstechniken, Freundlichkeit, Ownership – der Gestaltungsspielraum erweist sich als immens.
- Finanzen: Was kostet und was bringt ein Vorgang oder eine Einheit?
- Quantität: Hier passt das Kriterium Erreichbarkeit hinein.
Die Kriterien wichten Auftraggeber untereinander. Beispielweise 10 % für Inhalte, 20 % für Prozesse, 30 % für Kommunikation et cetera. Es entsteht das Zielsystem Quality Score Card. Regelmäßiges Messen zeigt, inwiefern Dienstleister die Ziele, sprich den erhofften Nutzen, erreichen oder verfehlen.
An diesen Wert koppelt sich die Höhe der Rechnung - Monat für Monat. Ein Bonus-/Malus-System steigert den Anreiz zum Nutzen des Endkunden und des Auslagernden. Warum für den Endkunden? Das lässt sich schnell erklären. Dieser erhält in der Regel einen besseren Service. Außer das beauftragende Unternehmen strebt keinen Service an.
Eine andere Marktvariante: „Ihr Anliegen nervt! Kaufen Sie bitte sofort unser“
Zugegeben, andere Varianten funktionieren ebenfalls. Viele Unternehmen betrachten Kunden als Störfaktor, der von der Arbeit ablenkt. Unangemessene Anliegen der Bittsteller nerven. Sprich: schnell rangehen – Erreichbarkeit zählt (siehe vorne) – und sofort abbügeln.
LG Electronics Austria geht 2020 mit seinem Dienstleister mobiletouch genauso vor. Hilfesuchende Reisende mit einem defekten LG Smartphone aus einer anderen Region kanzelt der Service blitzschnell brüsk ab. Motto: ‚Bootfehler nach ein paar Monaten? Ihr Smartphone funktioniert nicht mehr? Was geht uns das an? Kaufen Sie das neueste LG Smartphone in Österreich (UVP rund 750,00 Euro) und jetzt ziehen Sie Leine. Wir haben Wichtigeres zu tun. Der Autor fragt sich, wie gut diese Variante den Absatz von LG Produkten weltweit fördert.
Die Brille der Dienstleister
Warum Outsourcing Anbieter die Erreichbarkeit als KPI (Key Performance Indicator, Steuerungsgröße) propagieren, liegt auf der Hand. Diese Kennzahl erreichen sie am einfachsten. Es genügt, wenn jemand rangeht. Korrekte Antworten? Freundliches Auftreten? Bindung von Endkunden? Korrektes Bearbeiten von Prozessen? Hier verweisen Dienstleister auf separat agierende Schulungs- oder Qualitätseinheiten. Die kümmern sich um diese Punkte. Kümmern sich worum? Wenn die Höhe der Rechnung des Outsourcing Anbieters von der Tatsache abhängt, ob jemand ans Telefon geht oder nicht, erweist sich jeder andere nichtmonetäre Anreiz als altersschwacher Tiger ohne Gebiss. Böse formuliert erlauben manche Outsourcing-Verträge den Einsatz von nicht deutschsprachigen Taubstummen. Beispiel: nach den Regeln der besagten Dokumente erfüllt der Dienstleister seine Pflicht, erreicht er 70 % Erreichbarkeit.
Somit wirkt es mysteriös, dass Auftraggeber Erreichbarkeit als Steuerungs-KPI weiterhin akzeptieren. Erreichbarkeit reflektiert Personaleinsatz und damit Kosten, aber keine Leistung und überhaupt kein Ergebnis. Liegt es daran, dass Auftraggeber von Call-Center-Dienstleistungen es nicht besser wissen? Oder verführen die Marketing-Botschaften der Dienstleister, wonach alle „Qualitätsführer“ wären (und man nichts außer Erreichbarkeit brauche)?
Die Sicht einiger Auftraggeber
Fairerweise gilt: Erreichbar sein kostet Geld. Die Produktivität leidet, weil Personal bei schwankenden Volumina teilausgelastet arbeitet. Die scheinbar simple Lösung sieht so aus: Kunden verharren in Warteschleifen oder ruhen wochenlang im digitalen Postfach. Weil das Gros der Outsourcing Dienstleister aktuell in der Regel kaum noch prekär bezahlte Mitarbeiter findet, denken manche Auftraggeber: ‚Das ist halt so. Dann eben vollausgelastet schlecht arbeiten.‘ Deswegen genügt für manche Unternehmen ein schlechter Service (sehe Stiftung Warentest und die Mobilfunker).
Autor:
Bernhard Gandolf
Bernhard Gandolf arbeitet als Geschäftsführer und Certified Management Consultant bei der Unternehmensberatung eisq GmbH & Co. KG. Er gilt seit 20 Jahren als Experte für operative Exzellenz im Dienstleistungs- und Servicemanagement.