Von Manfred Stockmann
Nach dem Vortrag „Mythos. Contact Center – Warum es 2025 keiner mehr braucht“ kam es im Nachgang noch zu mehreren Gesprächen und häufig zu der einen Frage: „Warum konkret braucht es denn 2025 keine Contact Center mehr?“
Dass sich vieles verändert, dass die Geschwindigkeit zunimmt, dass man andere Vorgehensweisen benötigt, um mit all dem besser klar zu kommen, all das konnte man noch irgendwie nachvollziehen, doch Service wird doch weiterhin von den Menschen nachgefragt. Also warum sollten dann 2025 Contact Center überflüssig sein?
Nun das Thema benötigt demnach noch Aufklärung. Ich nehme eine Schlussfolgerung dazu schon einmal voraus und ergänze meine Aussage um einen Halbsatz: „Contact Center braucht 2025, so wie sie heute sind, keiner mehr.“
Ach, dann ist die ganze Aufregung ja umsonst, höre ich so manchen erleichtert aufatmen. Oder etwa doch nicht? Möglicherweise wird es auch 2025 noch vereinzelt Center geben, die ähnlich wie heute organisiert sind, doch die überwiegende Mehrheit, also die künftigen Service-Champions, werden wohl nicht mehr als Center – was ja von zentralisiert kommt – existieren.
Wieso das so ist, das erkläre ich an drei Hauptaspekten, die sich uns bereits jetzt zeigen und auf die Entwicklung der Servicecenter wirken:
- Ein sich schneller veränderndes Kundenverhalten bei höherem Serviceanspruch.
- Beherrschung der sich daraus ergebenden Komplexität.
- Gewinnung und Bindung geeigneter Mitarbeiter in ausreichender Zahl.
Anforderungen und Szenarien
Die sich schneller verändernden Kundenanforderungen zeigen sich für die Serviceerbringung in der Einbindung verschiedener Medien, der zunehmenden mobilen Nutzung und einer absehbar schnelleren technologischen Aufrüstung auf Kunden- denn auf Unternehmensseite (u.a. die Bots des Kunden).
Das Kanal-Blending im Dialog, also der unterbrechungsfreie Wechsel zwischen den Medien, gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung und erhöht die Komplexität bei der Realisierung. Vieles, das nach außen zum Kunden und nach innen zum Mitarbeiter einfach und intuitiv wirken muss, stellt im Hintergrund oft enorme Ansprüche. Auch wenn ich hier schon wieder einen neuen Kunstbegriff einführen muss: Opti-Channel (der für den Kunden optimale Medienkanal) ist die elegante Weiterentwicklung des Omni-Channel. Und dabei sind viele Serviceeinheiten noch nicht einmal beim Vorläufer dem Multi-Channel angekommen.
Als dritter Aspekt zeigte sich in fast allen Gesprächen, dass schon jetzt die Mehrzahl der Serviceeinheiten nicht mehr ausreichend Mitarbeiter bekommen. Und dazu steigen die Qualifikationsanforderungen aus oben genannten Gründen weiter an. Ob Kommunikations-Skills in mehreren Sprachen, in Wort und Schrift, von Mail über Chat zu Messenger-Diensten, Video-Calls, vereinzelt im Industriebereich auch schon Augmented Reality-Anwendungen, die Bedienung immer umfangreicherer Systeme und die Zusammenarbeit mit digitalen Assistenzsystemen mit und ohne KI. Auch wenn viele Stellen schon weit über dem Mindestlohn dotiert sind, die Arbeitsbedingungen mit externer Taktung und permanenter Kennzahlenüberwachung zählen nicht zu den Favoriten bei den jüngeren Generationen.
Die häufigsten Erfolgs-Verhinderer
Moderne HR-Arbeit ist in vielen Serviceeinheiten noch eher selten anzutreffen – um mich mal vorsichtig auszudrücken. Bei internen Einheiten mit zentralen IT-/HR-Abteilungen oder per Shared-Services eng ans Mutterhaus gebundenen externen Einheiten sieht es nicht besser aus. Häufig fehlt dort auch noch (oder eher: immer noch) das Verständnis für die speziellen Bedürfnisse. Ungelenke bis fehlende Social Media-Aktivitäten, an der Zielgruppe vorbeiformulierte traditionelle Stellenanzeigen sowie starre und formalisierte Bewerbungsprozesse oder feste Einstellungstermine schrecken mehr ab als das sie anziehen. Reaktionszeiten von über 24 Stunden auf eingehende Bewerbungen und Vorstellungstermine Montag bis Freitag zwischen 8:00 und 18:00h berücksichtigen keineswegs die Bedürfnisse der potentiellen Bewerber. Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht, doch intern fröhnt man den guten Zeiten, als ob man noch den einen aus über hundert gönnerisch auswählen kann. Viele Personalengpässe sind definitiv (noch) hausgemacht.
Der zweite Erfolgs-Verhinderer liegt meist in den IT-Einheiten. Engpässe bei den Entwicklern, traditionelle Projektstrukturen (mit überfrachteten Lenkungsausschüssen und Jahresplanungen) und zu oft auch wenig fundiertes Wissen in aktuellen Entwicklungen. Die Folge sind Wartezeiten für Anforderungen und selbst kleinere Anpassungen von nicht selten zwölf und mehr Monaten. Selbst Anwendungen, die keinerlei oder nur „minimal-invasive“ Eingriffe in bestehende Systeme benötigen, werden aus Zeitmangel abgelehnt, sich damit zu beschäftigen. Nicht selten konnte ich erleben, dass durch monatelanges hartnäckiges Nachfassen der CC-Leitung, dann nach einem 20 Minuten-Termin problemlos die Freigabe erteilt wurde. Ob hier auch Verteidigung des Einflussbereichs oder einfach nur Unsicherheit ob der vielfachen Anforderungen beim IT-Management vorliegen? Gänzlich auszuschließen ist auch das nicht immer.
Als dritter Erfolgs-Verhinderer steht die jahrelange Effizienz-Orientierung. Servicecenter sind über die letzten Jahre so auf Effizienz getrimmt worden, dass kaum Ressourcen (personell, Know how) über das für die Produktionserbringung erforderliche Maß, ausreichend verfügbar sind. Damit fehlen auf breiter Basis die Praktiker, die sich der Umsetzung all dieser Anforderungen annehmen könnten. Für Projekte und Maßnahmen werden derzeit immer die gleichen Mitarbeiter herangezogen und stellen somit einen weiteren Engpass für schnelle Entwicklungen dar. Die zunehmende Komplexität kann nicht von einigen wenigen gestemmt werden. „Collective Intelligence“ wird gebraucht, um die Anforderungen zeitnah und aus Kundensicht umzusetzen.
Was sich verändert
Wichtig dafür ist zu wissen, dass 2020 die Generation Y bereits 50% Anteil an den Arbeitnehmern stellt und dies bis 2025 auf gut zwei Drittel, inkl. der Generation Z sogar auf 75% anwächst. Das heißt auch, dass in den kommenden fünf bis sieben Jahren etliche „altgediente“ Mitarbeiter/innen aus dem Arbeitsprozess ausscheiden. Die Personallücke wird absehbar erst einmal größer.
Transformation findet im Übergang zweier Lebenszyklen statt
Alle Tätigkeiten in Servicecentern, die heute in zwei Tagen angelernt werden können, werden in drei Jahren vollautomatisiert sein, diejenigen die noch fünf Tage brauchen, sind es in fünf Jahren.
Die Konsequenz aus all diesen Entwicklungen: Viele Arbeitsplätze (wie wir sie heute kennen) werden bereits bis 2025 auch im Kundenservice wegfallen. Ja, es werden auch gänzlich neue entstehen. Doch die Qualifikationen passen nicht zusammen. Man wird nicht einfach von den wegrationalisierten Arbeitsplätzen die Mitarbeiter auf die neuen setzen können.
Wird es demnach reichen, die bisherigen Prozesse einfach technisch aufzurüsten, weitermachen wie bisher? Oder brauchen die sich schneller verändernden Kundenanforderungen auch andere Prozess- und Arbeitsmodelle? Wie gelingt es den Service als zukünftiges Geschäftsmodell zu entwickeln, das die jetzige Produktorientierung ablöst. Das Produkt wird zunehmend zum Transportmittel für darauf aufbauende Serviceangebote.
Es wäre vermessen zu glauben, die neuen Modelle ließen sich auf dem Reißbrett entwickeln. Hier ist viel Ausprobieren gefragt. Welche Angebote werden vom Kunden angenommen oder wecken sogar neuen Bedarf? Eine Rolle in der sich moderne Serviceteams gut positionieren können. Diese sollten dazu aber auch über erweiterte kreative und methodische Fähigkeiten verfügen. Wie lange brauchen Menschen, um damit umgehen zu können?
Um in den kommenden Jahren eine Antwort zu entwickeln, wie man die erforderlichen Menschen in den Kundenservice bekommt und in der Service-Erbringung Schritt hält, reicht folglich eine lineare Weiterentwicklung mit schrittweisen Optimierungen im bisherigen Stil nicht aus. Das Modell muss auf neue Beine gestellt werden. Und zwar beginnend unverzüglich! Verlorene Zeit lässt sich nur schwer wieder aufholen.
Was anders werden muss
Dazu müssen die bisherigen – aus Unternehmens-Innensicht vorgelagerten, aus Kundensicht jedoch nachgelagerten - Einheiten durchgängiger werden. Für die Entwicklungsfähigkeit der Organisation sind mehr Mitarbeiter als bisher einzubeziehen. Die Silos stehen einer kundenfokussierten Ausrichtung im Weg. Schnelle Entwicklungen werden künftig nur noch interdisziplinär machbar sein ohne zentrale Steuerung und Absegnungszeremonien. Die Amazon-Philosophie der Two-Pizza-Teams mag dazu nur eine von vielen denkbaren Ausrichtungen sein. Doch mehr Selbstorganisation und weniger Command & Control sind unabdingbar.
Kleine schlagkräftige Kunden-Teams aus den verschiedenen Disziplinen greifen Themen selbständig auf, entwickeln Lösungen in engem Kontakt mit den Entwicklern und bringen diese dann in den Live-Betrieb. So rücken auch die Entwickler näher an den Kunden, gehen sogar mit in den Dialog und setzen direkt um.
Das beinhaltet allerdings auch eine dramatische Weiterqualifizierung der Führungskräfte, die in dieser Welt ihre Rolle auch ausfüllen können. Auch hier sind erhebliche Eingriffe in die bestehenden Strukturen erforderlich.
Neudenken schlägt Erfahrungswissen
Der Irrglaube, es aus eigener Kraft mit internem Know how schaffen zu können. Die wenigsten Unternehmen respektive Führungskräfte verfügen über aktive, branchenübergreifende Netzwerke oder verwertbare Erfahrungen. Doch genau da liegt der Schlüssel. Mit dem verbundenen Wissen aus anderen Branchen und auch aus der Startup-Szene, neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und motivierten Querdenkern lässt sich Zukunft gestalten. Der Ruf nach Diversity ist in den Serviceeinheiten an der Basis meist schon ein gutes Stück erfüllt, in den Entscheidungsebenen herrscht dann jedoch oftmals wieder Gleichförmigkeit vor.
Führung als Kernkompetenz
Um das alles zu schaffen, diese Transformation in drei bis fünf Jahren hinzubekommen, braucht es ein anderes Führungsverständnis. Noch sind für viele traditionelle Unternehmen diese neuen Führungsstrukturen derzeit meist undenkbar. Aus ihrer Erfahrungswelt muss immer ein Kommandeur und Verantwortlicher dem vorstehen und ultimative Entscheidungsinstanz sein. Und doch zeigen die Unternehmen, die derzeit das exponentielle Wachstum hinlegen, dass es anders geht. Ja, dass es sogar die notwendige Voraussetzung ist, um eben diese Entwicklungsgeschwindigkeit zu realisieren.
Führung macht sich auch nur teilweise überflüssig und zwar dort, wo sie zum Umsetzungsengpass wird ohne einen wirklichen Mehrwert beizutragen, d.h. Entscheidungen zu treffen, obwohl die Fachkompetenz woanders liegt. An anderen Stellen darf sie sich neu erfinden und dem Gedanken Peter Druckers „Führung ist Dienstleistung“ nachkommen (übrigens bereits in der Spätantike in den Regulae Beneticti über das Zusammenleben im Kloster und die Aufgaben des Abtes so niedergeschrieben und von Bodo Janssen, Upstalsboom Hotels jüngst in „Die stille Revolution“ und „Stark in stürmischen Zeiten“ wieder aufgegriffen). Führung soll den Rahmen schaffen, damit Leistung und Ergebnisse entstehen können, sie soll den Rücken freihalten und die Potentiale der Mitarbeiter fördern. Eine partizipative Führung darf nicht mit Demokratisierung der Verantwortung verwechselt werden. Führung darf inspirieren und positive Sog-Wirkung für die Ergebniserreichung entwickeln, anstelle durch Druck einzuschüchtern.
Es reicht nicht nach außen ein marketing-optimiertes Unternehmensbild und tolle Rekruitingprozesse zu haben, wenn spätestens nach dem Onboarding nichts mehr zusammenpasst, weil die alte Welt nicht angetastet wurde.
Daher werden die wirklich erfolgreichen Unternehmen in 2025 eben keine Contact Center mehr haben, wie wir sie heute kennen. Sie sind anders organisiert und mit anderen Mitarbeitern besetzt. Das Unternehmen und seine Mitarbeiter werden viel breiter als heute in den interaktiven Kunden-Touchpoints einbezogen.
Für all das gibt es keine Blaupause. Jedes Unternehmen muss diesen Transformationsprozess in das neue Kultur-Zielbild selbst beschreiten. Externe, jedoch nur methodische Prozess-Begleitung ist ebenso hilfreich wie intensive Netzwerkbildung zu anderen Unternehmen, speziell aus komplett anderen Branchen.
Angebote zum Aufbruch
Wer auch im Vortrag „Arbeitswelten anders denken“ der Kollegen von HCD war, wird dazu ebenfalls Anregungen bekommen haben. Deren Überlegungen und Konzepte gehen bereits auf die Arbeit von „dialogstarken Teams“ ein. Und das sind mehr als nur schicke Möbel. Dahinter liegt ein ganzheitlicher Ansatz, genau auf diese neuen Anforderungen einzugehen und ein produktivitätsförderndes Arbeitsumfeld zu gestalten. Eine der zentralen Führungsaufgaben, wie wir gehört haben.
Wer zu Arbeitswelten 4.0 generell mehr wissen will, ja wer sich sogar in 2019 endlich auf den Transformationsweg machen will, für den bieten wir ein spezielles Jahresprogramm. Immer maximal sechs Unternehmen in einer Gruppe. Gegenseitiges lernen, motivieren, befruchten, inspirieren und vorankommen sind garantiert. Start ist im Februar 2019. In 26 terminierten etwa zweistündigen Collaboration-Sessions (Virtual Meetups) behandeln wir mit Ihnen Ihre Themen, immer dort, wo Sie gerade sind. Viermal im Jahr treffen wir uns zum intensiven, persönlichen Austausch bei den Up-Days. Wir verhelfen Ihnen dabei zu neuen Kontakten, Perspektiven und Lösungsansätzen. Dafür schalten wir immer wieder mal Experten dazu, die unseren Lösungsraum mit ihren Erkenntnissen anreichern. In diesem einen Jahr, bis Ende Februar 2020 haben Sie dann die Grundlagen für die eigenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten gelegt, erste wichtige Umsetzungen vollzogen und den Samen für das Neue in die Organisation gestreut.
Vergleichen Sie, wo Sie 2017 um diese Zeit standen und wie weit Sie bis heute gekommen sind. Wenn Sie die Aussichten mit unserer Option für aussichtsreicher halten ihre Ziele auch wirklich zu erreichen, sollten Sie dabei sein. Wenn Sie zweifeln, dass so etwas möglich ist, dürfen Sie überlegen, was Sie zu verlieren hätten, wenn Sie es nicht machen.
Wie sagte das Richard David Precht so schön: „Das was die meisten Unternehmen derzeit machen, erinnert an das Umdekorieren der Liegestühle auf der Titanic.“
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Bild- und Quellennachweis:
Header Mythos Service Center: depositphotos.com bearbeitet
Transformationsraum Grafik © C.M.B.S.
Grafik „Denkrahmen Effizienz“ von Conny Dethloff
Manfred Stockmann
Der ehemalige BW-Offizier und langjährige Vorstand des CCV und ECCCO arbeitet als Unternehmer, Change-Begleiter, Motivator, Netzwerker, Autor und Redner.